Vor kurzem hat mich mein Telefon daran erinnert, wo ich vor drei Jahren war.
Fotos von leuchtend gelben Büschen, roter Erde, verwunschenen Wegen und ein unfassbar weiter Himmel tanzten an mir vorbei und ich war sofort wieder dort.
In Santa Fe, New Mexico, im Land der Verzauberung.
Mit der Teilnahme am Schreibkurs von Milena Moser an diesem besonderen Ort ging ein lang gehegter Traum in Erfüllung und wenn ich heute durch die Bilder scrolle, gesellt sich zu den Erinnerungen ein verzücktes Lächeln.
Dabei ging es mir bei der Ankunft nicht besonders gut. Beim Fertigstellen meines zweiten Roman hatte ich einige Federn gelassen. Die intensive Endphase hatte nicht nur zu einer tiefsitzenden Erschöpfung geführt, sondern auch meinen Bandscheibenvorfall gereizt. Zudem lebte ich während der Zeit sehr zurückgezogen und konnte mir nur schwer vorstellen, eine ganze Woche mit einer völlig unbekannten Schreibgruppe mitten in der Wüste zu verbringen.
Innerlich unrund aber mit einem großzügigen Vorrat an Ibuprofen und Infrarotpflaster im Gepäck humpelte ich in Santa Fe zum vereinbarten Treffpunkt. Ich erinnerte mich daran, wie privilegiert ich als weiße Frau aus Europa war überhaupt hier zu sein, fragte mich, was aus der langgehegten Vorfreude geworden war, gleichzeitig konnte ich kaum fassen, meinen Koffer tatsächlich durch diesen magischen Ort zu rollen. Auf der Plaza baumelten Büschel voll Chilischoten in der Oktobersonne und der Himmel dahinter schien blauer als sonst wo. Es wirkte surreal, wie in einem Traum, aber in einem Guten.
Tatsächlich wurde ab dem Zeitpunkt ein Füllhorn mit Glück über mich geleert. Nach den vorhergehenden bitteren Monaten sog ich es auf wie ein weggeworfener Schwamm den Regen nach einer Dürre. Die Landschaft von New Mexico lud mit ihrem weiten Horizont ein, es ihr gleichzutun und der Kurs brachte frischen Wind unter die Schreibflügel. Die Sorge um die Gruppe war schnell weggeblasen, die Stimmung war von Beginn an entspannt. Wunderschöne Freundschaften sind dort entstanden und ich wurde nicht nur damit beschert, sondern ich bekam, wie Milena sofort feststellte, „ein Geschenk der Schreibgötter“, nämlich eine neue Romanfigur. Zum ersten Mal zeigte sie sich in der erfrischenden Schreibübung: „schildere ein Familienfest aus der Sicht eines Gegenstandes“. Später tauchte sie auch in all den anderen Übungen immer wieder auf. Begeistert drückte ich sie an mein Herz und nahm sie mit. Denn nach einer beschwingten Abschlussfeier, vielen Umarmungen und Austauschen von Adressen, ging es weiter nach San Francisco.
Im Koffer direkt neben den Infrarotpflastern wartete ein Fragebogen auf seinen Einsatz. Ich hatte ihn vor der Abreise vorbereitet und ihm die Überschrift. „Glücksforschung“ verpasst. Mein Plan war, mich in meiner geliebten Stadt ein wenig treiben zu lassen und dort spontan Frauen, die einen resilienten Eindruck auf mich machten zu fragen, ob ich sie denn interviewen dürfte. Die Idee dahinter war und ist, dadurch verschiedene Portraits, Geschichten und Momente zu sammeln, um in einer wettbewerbsgierigen und konsumorientierten Zeit ein anderes Bild von Frauen entstehen zu lassen, als das von den Medien und sozialen Medien verzerrte, welches der jüngeren Generation so hartnäckig suggeriert wird.
„Real life shit“, und davon richtig viel sollte es werden. Das war der Plan und die Geburtsstunde des Interviewprojektes.
Wieder zuhause machte ich mit der Unbeschwertheit eines Eichhörnchens weiter und verschickte sporadisch Anfragen. Wenige Monate darauf begann die weltweite Achterbahnfahrt. Interessanterweise hat sich durch den einen oder anderen Lockdown auch die eine oder andere Tür geöffnet, die sonst verschlossen geblieben wäre. Menschen, die sonst zu beschäftigt gewesen wären, hatten plötzlich Zeit, sich mit dem Fragebogen auseinanderzusetzen.
Diese drei Jahren waren eine Reise für sich und es sind unzählige spannende Dinge und Begegnungen passiert.
Der Erfahrungsschatz rund um die Kommunikation mit Fremden hat sich verdreifacht und auch die eigene Resilienz gestärkt. Dass Schweigen das neue Nein ist, ist offensichtlich nicht nur in der Verlagswelt so. Dort ist es üblich, dass man sich für die Einsendung eines Manuskripts keine Antwort erwarten sollte. Wenn man nach drei bis spätestens sechs Monaten keine bekommt, ist dies einer Absage gleichzustellen.
Ich habe nicht mitgezählt, wieviel Anfragen ich in den letzten drei Jahren verschickt habe, aber es waren Berge. Manche haben zuerst begeistert zugesagt, sich dann aber nie wieder zurückgemeldet. Einmal bot ein alter Freund an, sich als mein „Assistent Benjamin“ auszugeben, um so die eine oder andere Rückmeldung zu bekommen. Manchmal wollte wochenlang keine Türe aufgehen, dann landete wieder ein Füllhorn voll Glück auf dem Schreibtisch. Die Glücksforschung hat mich auch selbst beglückt denn während dieser Zeit sind auch hier wundervolle Freundschaften entstanden.
Es war ein spannender Prozess und jede einzelne Teilnehmerin hat mit ihrer Einzigartigkeit zu dieser wundervollen Sammlung beigetragen. Jetzt kommt die Zeit, das Ganze abzuschließen und die Nüsschen zu zählen. Denn das Eichhörnchen lehnt zerzaust am Baumstamm und rutscht langsam daran herunter. Somit steht fest, mit Ende des Monats werden keine neuen Anfragen mehr verschickt.
Dafür beginnt der nächste Schritt. Es wird alles zusammengefügt, teilweise übersetzt und lektoriert, um dann als schönes Buch in die Welt zu flattern.
Was aus der Romanfigur aus Santa Fe geworden ist? Eine gute Frage.
Sie hört mittlerweile auf den Namen Frances und zeigt einen starken Überlebenswillen, denn sie hatte es nicht leicht mit mir. Ihrer Hartnäckigkeit sei Dank, gibt es dennoch genug Puzzlestücke, die einladen, ein ganzes Bild herstellen zu wollen.
Das nächste größere Schreibprojekt, ein Roman, ist somit wieder aufgenommen.
Eine neue Reise beginnt.